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Türsturz über der ehemaligen Rathauspforte

Nr. 1 - Die "Gedenktafel...Zu Ehren der gefallenen Söhne"

(Gerhard Kittelberger)

Wenn am Volkstrauertag des Jahres 2002 das Kriegerdenkmal an der Kirche in restauriertem Zustand erneut enthüllt wird, gehen die Gedanken zurück in die Zeit vor über 80 Jahren. Auch damals war Nachkriegszeit. Die Schrecken des Krieges standen noch vor Augen und die Verluste von Vätern und Söhnen schmerzten täglich. Die Zeitungen berichteten von den Belastungen und Ausschreitungen im Gefolge des als ungerecht empfundenen Versailler Friedensvertrags.

Im September 1921 befassten sich Kirchengemeinderat und Gemeinderat erstmals ernsthaft mit der Errichtung eines Kriegerdenkmals, über das in der Öffentlichkeit schon seit langem gesprochen wurde. Auch über die möglichen Standorte gab es bereits kontroverse Ansichten. Von der kirchlichen Seite, angeführt durch Pfarrer Paul Pfeiffer, wurde die Anbringung einer Tafel in der Kirche favorisiert. Sie sollte das Gegenstück zu der Tafel von 1870/71 bilden, die über dem Eingang zur "Läutkammer" hing. Die Stimmung in der Gemeinde tendierte dagegen in Richtung "außerhalb der Kirche". Die Fronten waren anscheinend schon recht verhärtet, da es dem Pfarrer entschlüpfte, dies sei die Meinung "besonders der kirchenscheuen Elemente".

Die Finanzierung spielte in der Debatte eine untergeordnete Rolle. Die Kirchengemeinde war bereit, verschiedene gesammelte Summen, insgesamt aber nur 2.330 Mark, bereitzustellen. Der Gemeinderat beschloss aber sogleich, die zu den geschätzten Kosten von ca. 6.300 Mark fehlenden Mittel zur Verfügung zu stellen.

Auch im Frühjahr 1922 war die Frage der "Anbringung einer Kriegergedenktafel an oder in der Kirche" offen und "die Meinung in der Gemeinde...noch eine sehr geteilte". Pfarrer Pfeiffer notierte 4 verschiedene "Projekte".

  • Denkmal in Form eines Obelisken auf dem Friedhof
  • Obelisk am Fuß des Kirchhofwegs, auf dem Rasenplatz am Feldweg nach Mössingen
  • Tafel in der Kirche als Gegenstück der Tafel von 1870/71
  • Tafel außerhalb der Kirche auf beiden Seiten des Haupteingangs, des "Weggentors"   

Am 31. Mai oder 1. Juni kam es im Rathaus zu einer denkwürdigen Sitzung. Schultheiß Emerich Spanagel hatte außer seinen Gemeinderäten auch den Kirchengemeinderat zu gemeinsamer Sitzung und Abstimmung "über die Platzfrage und über die damit verbundene Lösung des zu erstellenden Denkmals" geladen. Denkwürdig ist die Sitzung insofern, als Pfeiffer und Spanagel den Verlauf und die Ergebnisse in ihren Protokollen unterschiedlich schildern. Während Pfeiffer in seiner auf den 31. Mai datierten Niederschrift eine deutliche Stimmenmehrheit für die Anbringung der Tafeln zu beiden Seiten des Haupttors festhielt, protokollierte Spanagel unter dem 1. Juni in beiden Fragen eine Pattsituation, sowohl bezüglich der Art wie des Orts des Kriegergedenkens. Wie dieser Dissens zustande kam, muss offen bleiben. Auf eine gewisse Unsicherheit scheint hinzuweisen, dass Pfarrer Pfeiffer seinem Protokoll den beschwörenden Schlusssatz hinzufügte: "bei diesem Beschluß hat es nun sein unumstößliches Verbleiben".

Fest steht, dass in der Gemeinde das Ringen um das Denkmal weiterging. Der Schultheiß, der mit seinen Räten schon am 30. April eine Besichtigungsfahrt zu Denkmälern der Tübinger Umgebung gemacht hatte, nahm mit zahlreichen Architekten und Steinmetzen Kontakt auf. Der Tübinger Architekt Wägenbaur, der schon im Februar 1922 beratend tätig war und Entwürfe gezeichnet hatte, favorisierte im Juli Tafeln außen an der Westseite des Kirchturms. Einer anderen Partei gefiel ein Obelisk wie in Kiebingen.

In seiner Sitzung am 2. August stellte der Gemeinderat fest, nachdem die Meinungen immer noch geteilt seien, müsse "man endlich doch zu einem bestimmten Entschluss kommen". Mit nur einer Stimme Mehrheit fiel dann der Beschluss für die Anbringung von Tafeln außen an der Kirche denkbar knapp aus. Dennoch gab er von nun an die Richtung vor, und Wägenbaur wurde mit der Ausführung betraut.

Der Auftrag ging Anfang September an den Tübinger Steinmetzbetrieb Krauss, und für die Steinplatten wählte man Muschelkalk aus Kirchheim bei Würzburg. Die Fertigstellung ging nun zügig voran, zumal die Liste der Gefallenen bereits im August vorlag. Nun sollte noch der jeweilige Todesort oder die betreffende Gegend bei dem Gefallenen hinzugefügt werden. Dies war in jener Zeit üblich und ist an vielen Kriegerdenkmälern der Umgebung, z.B. in Mössingen, Unterjesingen und Bebenhausen zu besichtigen. Pfarrer Pfeiffer hat fleißig daran gearbeitet, da er die Ergänzungen schon nach einem Monat vorlegte. So konnten im Lauf des Dezember die Namen auf den Tafeln ausgehauen werden.

In den ersten Monaten des Jahres 1923 stockte die Fertigstellung aus verschiedenen Gründen. Die Hauptursache ist wohl in der galoppierenden Inflation zu suchen, die finanzielle Engpässe mit sich brachte. In Schwierigkeiten steckte deshalb auch Bildhauer Krauss. Von Januar an schickte er dringende Zahlungsaufforderungen und Mahnungen an das Schultheißenamt. Er musste zusehen, wie infolge der "täglich sich steigernden Teuerung...sein ausstehendes Geld in Nichts zerrinnt". Um schnell zu Bargeld zu kommen, nahm er kurzfristig andere Arbeiten an. Die Gemeindeverwaltung hatte ihrerseits laufend Teuerungszuschläge zu verkraften und leistete die Abschlagszahlungen an Krauss nur schleppend. Beispielsweise verdoppelte sich der Monatsgehalt des Gemeindepflegers von Februar bis März 1923 auf 56.250 Mark. Andererseits musste Pfarrer Pfeiffer mehrfach daran erinnert werden, die Überschriften auf den Tafeln, insbesondere einen passenden Bibelspruch, vorzuschlagen. So kam es, dass die endgültige Fertigstellung erst Mitte Februar zustande kam, und die Tafeln witterungsbedingt dann erst am 7. April an der Kirche angebracht wurden. Für die Beifuhr erhielt der Fuhrmann Jakob Hartmayer 30.000 Mark. Die Arbeit des Maurers Jakob Schmid kostete 23.300 Mark.

Der Gemeinderat beschloss, die "Enthüllungsfeier und Übergabe" am Sonntag, dem 27. Mai zu veranstalten. Pfarrer Pfeiffer fasste vor dem Kirchengemeinderat die Planung der Feierlichkeiten wie folgt zusammen:

"Zuerst sammelt sich der Gemeinderat und Kirchengemeinderat mit Kriegerverein, den beiden Gesangvereinen und den sonstigen Teilnehmern und Teilnehmerinnen auf dem Schulhof zum feierlichen Zug unter Glockengeläute vor die Kirche, woselbst mit verschiedenen Ansprachen, worunter auch die des Ortsvorstands und die des Ortsgeistlichen, die Enthüllungsfeier, u.a. auch unter Gesang der Gesangvereine, vor sich gehen wird. Hierauf in der Kirche Gedächtnis-Trauer-Gottesdienst zu Ehren der im Kriege gefallenen Gemeindeglieder, bestehend in Predigt mit eingelegten Gesängen der Vereine und Schulkinder. Zum Schluss Zusammenläuten der Glocken mindestens 20 Minuten."

Wie die "Tübinger Chronik und Steinlachbote" schon am folgenden Montag berichtete, fand die Feier in dieser Form auch tatsächlich statt. In der Kirche predigte Pfarrer Pfeiffer über den auf der rechten Tafel eingehauenen Spruch. Besonders wurde darüber hinaus erwähnt, dass "Herr Schuhmachermeister Fauser ein stimmungsvolles Gedicht" vortrug. Dieses ist durch einen Druck erhalten und beeindruckt noch heute durch treffsichere Formulierungen.

Quellen und Literatur:

  • Gemeindearchiv Ofterdingen, A 152,

       Akten Kriegerdenkmal 1921 ff., 1936

       B 30, Gemeinderatsprotokolle 1921 ff.

       R 157, 158, Hauptbuch der Gemeindepflege 1922, 1923

       R 171, Hauptbuch der Gemeindepflege 1936

  • Pfarrarchiv Ofterdingen, Protokollbuch des Kirchengemeinderats, Bd. III, 1921 ff.

       Ordner Ortsgeschichte, Gedicht von Bernhard Fauser: "Zur Einweihung des Kriegerdenkmals in         Ofterdingen", Ofterdingen im Mai 1923

  • Zeitungsarchiv des Schwäbischen Tagblatts, Tübingen, Tübinger Chronik und Steinlachbote, 79. Jg., Nr. 121 vom 28.5.1923