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Türsturz über der ehemaligen Rathauspforte

Nr. 10 - Die Gastwirtschaft "Zum Kühlen Brunnen" - Ein Rückblick

(Gerhard Kittelberger)

Als im Jahr 2008 die ehemalige Gastwirtschaft "Zum Kühlen Brunnen" in den regionalen Zeitungen Thema von Nachrufen oder geschichtlichen Betrachtungen werden sollte, wurden Fragen nach ihrer Vergangenheit gestellt. In den vielen Jahren und Jahrzehnten, in denen das immerwährende Bestehen der Wirtschaft fest im Ofterdinger Bewußtsein verankert war, hatte es dazu wenig Veranlassung gegeben. Es wußte jeder Bescheid, man kannte das "Poststüble" und die Herkunft seines Namens, den mehrfach erweiterten Saal und nicht zuletzt die Familie Lutz. Diese bewirtschaftete den weithin bekannten "KB" seit Menschengedenken, zuletzt in der dritten Generation.

Der für eine schnelle Antwort auf derartige Fragen übliche Griff nach den ortskundlichen Büchern oder die Zeitungsarchive ließ überraschenderweise erkennen, dass über die Geschichte des "Kühlen Brunnens" nur wenig bekannt war. In der Literatur und in Zeitungsartikeln sind nur wenige Berichte über bemerkenswerte Ereignisse im Zusammenhang mit der Postagentur zu finden. Diese war lange Zeit mit der Wirtschaft verbunden und konnte 1957 die Feier des 100-jährigen Bestehens der Ofterdinger Post begehen. 1964 gedachte der Chronist Werner Neumann der 50 Jahre zurückliegenden letzten Fahrt der Postkutsche zwischen Dußlingen und Ofterdingen am 29. Juni 1914. 1967 gab die Umwandlung der bisherigen Postagentur in ein Postamt und dessen Verlegung vom "Kühlen Brunnen" in den Saal der Wirtschaft "Zum Rößle" Anlaß zu Berichten. Angesichts dieses bescheidenen Kenntnisstandes galt es, zur Beantwortung der Fragen eigene Nachforschungen anzustellen.

Für den "Kühlen Brunnen" war die Postagentur stets von großer Bedeutung. Dies gilt auch umgekehrt für die Ofterdinger Post selbst, deren von 1902 bis 1967 währende Verbindung mit der Wirtschaft ihre bisher längste Epoche darstellt. Eine demgegenüber wesentlich kürzere Zeit war die "Postexpedition" zuvor mit der an der Landstraße (heute B27) gelegenen Wirtschaft "Zum Ochsen" verbunden gewesen. Mitte des 19. Jahrhunderts bewirtschaftete diese der Ochsenwirt Balthas Luz (1802-1889). Er war der Sohn des Weißochsenwirts Johann Jacob Luz (+1842) und hatte die Wirtschaft nach dem Tode seiner Großmutter, der Maier-Erbin Corona (1751-1806), geerbt. Nach der Einrichtung der Postexpedition durch die Kgl. Württ. Postkommission im Jahr 1857 bezeichnete sich Balthas’ einziger Sohn Carl Jacob (1835-1912) als Postexpeditor oder Posthalter. Mit zunehmendem Alter seines Vaters mußte er sich immer mehr auch mit dem Betrieb der Wirtschaft befassen, weshalb er sich bald ebenfalls "Ochsenwirt" nannte. Es spricht jedoch für die mit beiden Berufen verbundene Arbeitsbelastung, dass um 1885, spätestens nach dem Tode des Altochsenwirts 1889, die Postexpedition an Jakob Lutz "auf der Lehr" überging (damals Haus Nr.202, heute Schillerstraße 24). Dessen Zeit als Postexpeditor blieb aber Episode. Die schon angedeutete lange Zeit der Verbindung mit dem "Kühlen Brunnen" begann bereits 1902 mit der Einrichtung einer Postagentur, die dem Postamt Tübingen unterstellt war.

Zu dieser Zeit bestand die Wirtschaft "Zum Kühlen Brunnen" schon seit etwa 10 Jahren. An der Stelle des heutigen Gebäudes Aspergstraße 2, zwischen der Steinlach und dem alten Hof der Hofbauernfamilie Lutz, befand sich 1823 ein einfaches Wohnhaus. In ihm wohnten in den nächsten Jahrzehnten Schuster- und Weberfamilien. Catharina Wiech erbte das Haus 1860 von ihrer verwitweten Mutter und brachte es in ihre Ehe mit dem Weber Jakob Egerter ein. 25 Jahre später erwarb das Haus der Mehlhändler und spätere Mühlenpächter Johann Martin Karl Göhner (1852-1921), Sohn des Müllers Johann Konrad Göhner. Er ließ es sogleich 1886 abbrechen, und 1887 errichtete er an dessen Stelle ein wesentlich wertvolleres zweistöckiges Wohnhaus mit der Scheuer unter einem Dach und angebautem Stall. Karl Göhner war es nun, der die Wirtschaft "Zum Kühlen Brunnen" gründete. Das Gründungsjahr 1892 kann aus den Gewerbekatastersummen Göhners abgeleitet werden. Diese betrugen in den vorausgehenden Jahren, vermutlich wegen des Mehlhandels, stets 175 Mark, was einen vergleichsweise hohen Gewerbewert bedeutete. Da diese Summe in den Rechnungsjahren 1892/93 und 1893/94 auf 285 und 321 Mark anstieg, kann daraus auf die Gründung des neuen Gewerbes im genannten Jahr 1892 geschlossen werden. Diese Annahme wird auch dadurch gestützt, dass im Steuerabrechnungsbuch des Jahres 1892/93 die Berufsbezeichnung Göhners von "Mehlhändler" in "Wirt zum Kühlen Brunnen" nachträglich abgeändert ist.

Der heute unerklärlich scheinende Name "Kühler Brunnen" kam nicht zufällig zustande. Er bezieht sich vielmehr auf einen Brunnentrog mit laufendem Quellwasser der 1872/73 erbauten Wasserversorgungsanlage. Der Brunnen, nach der Erinnerung von Zeitzeugen mit eisernem Trog, befand sich an der Aspergstraße etwa zwischen der Wirtschaft und der Scheuer des benachbarten Hofbauern. Sein kaltes Wasser wurde besonders geschätzt. Die Älteren erinnern sich noch daran, wie man sie mit einem Krug dorthin schickte, um Trinkwasser zu holen. Diese Besonderheit des Brunnenwassers hat also der Wirtschaft "Zum Kühlen Brunnen" den Namen gegeben. Wie alle laufenden Brunnen des Dorfes wurde auch dieser durch eine gußeiserne Wasserleitung gespeist, die von einer Quellfassung oder Brunnenstube ausging und in ihrem Verlauf mehrere Brunnen versorgte. Das Wasser des "Kühlen Brunnens" stammte vom sogenannten Quellengebiet I nördlich der Aspergstraße, unterhalb des Hauses Nr. 17. Die Leitung speiste insgesamt 4 Brunnen und endete beim letzten, der an der Steinlach gegenüber des "Rößle", neben der später erbauten Molke lag. Auch diese Brunnen sind nach 1970 der Modernisierung des Ortsbildes zum Opfer gefallen. Die Quellfassung ist noch erhalten und in der dortigen Rasenfläche erkennbar. Sie speist heute nur den Brunnen auf der Insel.

Karl Göhner "Zum Kühlen Brunnen" verkaufte seine Wirtschaft mit allem Zubehör und Grundstücken 1898 an den Gärtner Johann Michael Lutz (1871-1946), der 1899 die Betriebserlaubnis als Wirt erhielt. Michael Lutz stammte aus einer Wagnerfamilie und heiratete 1899 die Hofbauerntochter Maria Lutz. Er hatte den Kaufpreis von 17.000 Mark bedingungsgemäß zwar bar zu bezahlen, doch konnte er wohl die Pfandschuld Karl Göhners von 8.000 Mark übernehmen. Für die restliche Summe standen den Jungverheirateten an Eigenkapital nur das von den Eltern zugesagte Heiratsgut zur Verfügung. Dieses betrug von Seiten Michaels 2.000 Mark, von Seiten Marias 4.000 Mark. Trotzdem konnte Lutz schon wenig später weitere Investitionen schultern, so 1901 einen ersten Saalanbau und 1908 einen freistehenden Stall. Aber auch Karl Göhner blieb dem Gastwirtsgewerbe treu. An sein Wohnhaus neben der Rathausbrücke baute er 1903 einen einstöckigen Wirtschaftsanbau an und nannte sich fortan "Lichtensteinwirt".

Mit der Übernahme der Postagentur 1902 begann für den "Kühlen Brunnen" eine lange Zeit, in der er im Dorf als Treffpunkt, Festsaal und Post wichtige Funktionen erfüllte. Die Agentur wurde links des Eingangs zur Wirtschaft eingerichtet und bald durch den Umbau des Scheunenteils erweitert. Nach 1869 bediente sich der Postverkehr der neueröffneten Eisenbahnlinie Tübingen-Hechingen. Zwischen dem Bahnhof Dußlingen und dem "Kühlen Brunnen" verkehrte nun zweimal täglich eine Postkutsche. Wenn der Kutscher, zuletzt Matthäus Dietter, in den Ort hereinfuhr, kündigte er sich mit dem Posthorn an. Kurz vor Beginn des 1. Weltkriegs, im November 1913, begann auch auf diesem Gebiet der Siegeszug des Kraftfahrzeugs. Zuerst probeweise, dann 1914 endgültig nahm ein "Kraftwagen" die Personen- und Postbeförderung auf den Linien Ofterdingen-Mössingen und Mössingen-Melchingen bzw. Salmendingen auf. Zwangsläufig schlug der Postkutsche am 29. Juni 1914 die letzte Stunde. Am Ende seiner letzten Fahrt wurde Matthäus Dietter am "Kühlen Brunnen" von Bürgermeister Spanagel, Pfarrer Pfeiffer, Posthalter Lutz sowie vielen Einwohnern festlich empfangen. Der "Schuster und Poet dazu" Bernhard Fauser verfasste zu diesem denkwürdigen Ereignis ein wehmütiges Abschiedsgedicht.

Infoblatt zur Postwagenfahrt Ofterdingen-Dußlingen

Während des Krieges 1914/18 scheint der Kraftwagenbetrieb eingestellt worden zu sein. Wenigstens war 1922 für die Postverbindung der Mössinger Posthalter Sulz zuständig, der mit einem Packwagen hin- und herfuhr. Die alten Postkraftwagenlinien nahmen 1926 ihren Betrieb wieder auf. In den Fahrplänen für die Strecke Mössingen-Ofterdingen endete die Postbuslinie an der Postagentur im "Kühlen Brunnen". So war durch die Post, die Endstation und die Durchgangsstraße nach Rottenburg die Wirtschaft stets belebt. Wenn aber Michael Lutz den Saal 1928 auf nahezu das Doppelte erweiterte, war dies wohl eher eine Antwort auf den Saalbau des "Rößle" im Jahr 1927. Nun standen für die größeren Feste im Dorf zwei bewirtschaftete Säle zur Verfügung.

Eine neue Zeit begann für den "Kühlen Brunnen" im Jahr 1940, als Michael Lutz ihn aus Gesundheitsgründen an seinen Sohn Otto (1902-1967) übergab. Dieser hatte schon seit 1920 in der Wirtschaft mitgeholfen, und nachdem er 1932 Maria Göhner geheiratet hatte, war die Mitarbeit auch Sache der jungen Ehefrau. Obwohl Otto bis zum Tode seines Vaters 1946 die Wirtschaft nur pachtweise innehatte, konnte er sie mit Erfolg weiterführen. Schon nach zwei Jahren bescherte ihm jedoch der 2. Weltkrieg einen harten Rückschlag. Er wurde 1942 zu Wehrmacht eingezogen, worauf seine Frau die Wirtschaft schließen mußte. In den leerstehenden Saal zog daraufhin eine ausgelagerte Näherei der Firma "Südd. Schürzen- und Kleiderfabrik Hans C. Stehle" in Radolfzell ein, die Uniformhosen für die Kriegsmarine fertigte. Nachdem die Belegschaft der Näherei kurz vor dem Einmarsch der Franzosen im April 1945 geflohen war, nahmen die Ofterdinger Einwohner die Lagerbestände an sich. Auch nach dem Krieg beherbergte der Saal zeitweilig eine Näherei. Otto Lutz, 1948 aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt, war erst im Dezember 1951 wieder in der Lage, die Wirtschaft zu eröffnen. Bereits 1953 konnte er allerdings den Saal nochmals stark erweitern.

In die Nachkriegsjahre des Wirtes Otto Lutz gehen die frühesten Erinnerungen unserer Zeitgenossen zurück. Besonders die großen Feste, vor allem Hochzeiten, haben tiefen Eindruck hinterlassen. In der Nachkriegszeit waren, wie schon früher, öffentliche Hochzeiten üblich, bei denen nahezu der ganze Flecken mitfeierte. Manchmal war die Zahl der Gäste so groß, dass sie nicht nur den "Kühlen Brunnen", sondern auch das "Rößle" und den "Lichtenstein" füllten. Große Festgesellschaften kamen auch z.B. bei Jahrgangstreffen oder Vereinsjubiläen zusammen. Der "KB" war Vereinslokal des TSV 1904 Ofterdingen und beherbergte dessen Pokalschrank. Die enge Verbindung zwischen Verein und Wirtschaft ist auch in der "Chronik 100 Jahre TSV Ofterdingen 1904" nachzulesen. Bekannt waren seit 1954 die Theateraufführungen des TSV, aber auch des Bürgergesangvereins. Abwechselnd mit dem etwas kleineren Saal des "Rößle" hielten die Vereine hier ihre Versammlungen ab, auch die politischen Parteien ihre Wahlversammlungen. Die Ortsgruppe der SPD wurde hier 1965 gegründet. Die Gemeinde versteigerte im Saal das Brennholz aus dem Gemeindewald und es fanden auch private Versteigerungen, z.B. durch Erbengemeinschaften statt. Gerne erinnert man sich an die Tanzkurse im Saal des "Kühlen Brunnen", denen Tanzveranstaltungen folgten. Für Tanzabende und für gute Musik war aber auch das "Rößle" bekannt. Der Gemeinderat traf sich in der Wirtschaft häufig zu seinen Nachsitzungen. Lebhafter Betrieb herrschte an Markttagen, wenn die Besucher ihren Marktschoppen tranken. Die in der Nachkriegszeit gutbesuchten Vieh- und Schweinemärkte füllten den Burghof, im Bachsatz war der Krämermarkt und bei der "Krone" der Roßmarkt. Hoch her ging es bei den monatlichen Barauszahlungen der Renten durch die Post. Gerne trank man danach ein Bier, und am gutbesuchten Stammtisch trafen sich Kartenspielerrunden.

Ein ereignisreiches Jahr in der Geschichte des "Kühlen Brunnen" war 1967. Alfred Ernst, der ältere der beiden Söhne Ottos, heiratete am 20. Januar die aus Truchtelfingen stammende Elisabeth Schick. Am 2. Mai endete die Zeit der Postagentur im "KB" und eröffnete die neue Post im Rößle-Saal. Sie erhielt jetzt wegen des angewachsenen Umfangs des Postverkehrs den Rang eines Postamts. Am 8. Dezember verstarb Otto Lutz im Alter von 65 Jahren, der als letzter Wirt und Posthalter das Amt 27 Jahre lang innehatte.

Nachfolger Ottos wurde sein Sohn Alfred Lutz. Im Bereich der früheren Post richtete er für kleinere Gesellschaften das "Poststüble" ein. Auch unter seiner Leitung war der nun schon legendäre "Kühle Brunnen" wegen seines preiswerten Angebots und nicht zuletzt wegen seines Saals eine der beliebtesten Wirtschaften des Ortes. Bei der täglichen Arbeit in Küche und Gastwirtschaft wurden Alfred und seine Frau Elisabeth tatkräftig durch Alfreds Schwester unterstützt. Der "Kühle Brunnen" verfügte auch über Fremdenzimmer, zuletzt 4 Doppel- und 2 Einzelzimmer. Viele der Übernachtungsgäste kamen regelmäßig, aber auch Urlauber nutzten die Unterkunft für Ausflüge in die Umgebung und auf die Alb. Die im Saal stattfindenden Holzauktionen gerieten regelmäßig zu gesellschaftlichen Ereignissen. In der Erinnerung von Dabeigewesenen wurde dabei so viel geraucht, dass der Auktionator fast hinter den Rauchschwaden verschwand. So war die in weitem Umkreis bekannte und geschätzte Wirtschaft wiederum jahrzehntelang einer der Schwerpunkte des dörflichen Lebens. Zum allgemeinen Bedauern mußte sie im Jahr 2001 ihren Betrieb wegen der Erkrankung des Wirts Alfred Lutz einstellen, der wenig später verstarb.

Quellen:

  • GdA Ofterdingen:
    - A 56 (Bauakten)
    - A 137, Nr. 3562 (Kraftwagenlinien)
    - B 5 (Schultheißenamtsprotokolle)
    - B 26 ff. (Gemeinderatsprotokolle)
    - B 165 ff. (Gebäuderverzeichnisse)
    -​​​​​​ B 213/14, 220, 222, 225, 234/35 (Feuerversicherung)
    - B 276 (Kaufbuch)
    - B 417 (Inventuren und Teilungen)
    - Rc (Steuerabrechnungsbücher)
  • Pfarramt Ofterdingen: Familienregister
  • Rathausregistratur Mössingen: Gaststättenakten

Literatur:

  • Ortschronik von Werner Neumann, November 1957
  • Ofterdinger Gemeindebote vom 27. Juni 1964
  • Esche/Lindner, Mein Ofterdingen, Bild Nr. 237
  • Festbuch 850 Jahre Ofterdingen, S. 197f., 386f.

​​​​​​​Außerdem erhielt der Autor bei mehreren Interviews mit sachkundigen Einwohnern wertvolle zusätzliche Informationen. Hierfür sei herzlich gedankt.