(Gerhard Kittelberger)
An der Bundesstraße 27 erinnern vier alte, stattliche Anwesen mit großen Hofräumen an die Anfangszeit der um 1750 trassierten "Neuen Chaussee". Sie stammen alle aus der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts und sind Zeugnisse des Unternehmertums kapitalkräftiger Ofterdinger Familien. Es handelt sich um die ehemalige Wirtschaft "Zum Löwen" (heute "Pur"), die Gasthöfe "Zum Ochsen" und "Zur Krone" sowie das auf der anderen, dem Dorf zugewandten Straßenseite gelegene ehemalige Gasthaus, ebenfalls "Ochsen" genannt. Gerade das letztere, ein großes, weiß getünchtes Fachwerkhaus, zieht immer wieder die Aufmerksamkeit von Einheimischen oder Durchreisenden auf sich. Dies umso mehr, als es neuerdings zum Verkauf steht.
Im Jahr 2007 untersuchte der Kunsthistoriker und Restaurator Jürgen Felbinger das Haus im Rahmen seiner Diplomarbeit. In diesem Zusammenhang interessierte er sich auch für die Baugeschichte, die jedoch nur in groben Zügen bekannt war. Seine weitergehenden Fragen gaben den Anstoß zu neuen Forschungen und zum vorliegenden Aufsatz.
Beim Einstieg in das Thema galt die Bezeichnung des großen, weißen Wirtschaftsgebäudes als "Weißer Ochsen" noch als historisch begründete Tatsache. In den letzten Jahren wurde dieser Name ja in Literatur und Zeitungsberichten, vom Autor selbst und ebenso in der Diplomarbeit und anderen Veröffentlichungen Felbingers verwendet. Die Auswertung der Schriftquellen ergab jedoch, dass dies auf einem Irrtum beruht. Es gelang, das dichte Netz verwandtschaftlicher Beziehungen und Heiratsverbindungen zwischen den Wirtsfamilien "an der Landstraße" zu entwirren. Gleichzeitig klärten sich die Besitzverhältnisse an den Gasthäusern auf.
Die Anfänge der Wirtschaften an der Landstraße.- Nach der Fertigstellung der außerhalb des Dorfes verlaufenden "Chaussee" um 1750 änderte der Verkehrsfluß durch das Steinlachtal seine Richtung. Die älteren Fahrwege verödeten, da die Reiter und Fuhrleute die bequemere neue Landstraße bevorzugten. Weil die besseren Wirtschaften in Ofterdingen schon immer entlang der Ortsdurchfahrt lagen, verloren gerade die wohlhabenden Wirte einen großen Teil ihres Umsatzes. Es war ihnen bewußt, dass sie den Durchreisenden, mit denen sie die besten Geschäfte gemacht hatten, an die "Chaussee" folgen mußten. Dies konnte allerdings nur wenigen gelingen.
Eine Wirtschaft "Zum Löwen" besaß 1714/15 Kaspar Hausch. Auch 1730 ist ein "Löwen" "unten im Dorf, neben der Rose" erwähnt. Den Neubau an der Landstraße errichtete 1759 Johann Martin Luz (1711-1772). Auf ihn folgte sein Sohn und Erbe Balthas (1744-1800). Mit dem Löwenwirt Johann Martin Luz ist erstmals ein Angehöriger der Hofbauernfamilie Luz als Investor an der Landstraße nachweisbar. Er war der Sohn des Vogtamtsverwesers Jakob Luz (1688-1768), des ersten Lehenträgers des österreichischen Lehenhofes aus dieser Familie.
Auch eine "Krone" unter dem Wirt Georg Röcker bestand schon 1714/15. Der heutige Gasthof an der B 27 ist 1779 erbaut worden. Dieses Baujahr bezeugt auch die auf der Küchentür eingeschnitzte Jahreszahl. Der 1781 genannte Wirt Johann Martin Roller wird wohl der Bauherr gewesen sein. Er war der Sohn des Kronenwirts in Engstlatt und kam 1765 durch seine Heirat mit Agnes Maier, der Tochter des Altochsenwirts Johann Jakob Maier, nach Ofterdingen. Agnes starb bereits 1777, ohne Kinder zu hinterlassen.
Eine Wirtschaft "Zum Ochsen" stand 1714/15 "auf der Steinlach". Der Wirt hieß Hans Jakob Schauwecker. Bei der Steuereinschätzung von 1730 werden ein roter und ein goldener Ochsenwirt genannt. Den "Roten" und den "Goldenen Ochsen" erbte der Metzger Alt Johann Jakob Maier 1748 von seinem Vater Balthas. Beide Wirtschaften dürften sich im Dorf befunden haben. Der reiche Ochsenwirt Maier ließ den "Goldenen Ochsen" abbrechen und 1759/60 an der Chaussee neu erbauen. Vom "Roten Ochsen" ist in der Folgezeit nicht mehr die Rede. Im Besitz des Johann Jakob Maier (+1784) wird nur noch ein "Ochsen" genannt. Bei der Verteilung seines Erbes lag die Wirtschaft "in der Bachsaz an der Landstraß neben dem Bachsazgraben".
Die Wirtschaft "Zum Weißen Ochsen" ist im Jahr 1788 erbaut worden und damit das jüngste der an der Chaussee gelegenen großen Gasthäuser. Ihr Erbauer war der Metzger Kaspar Luz (1752-1795). Kaspars Vater, der Bauer Johann Jakob Luz (1719-1762), war ein Bruder des Hofbauern und Löwenwirts Johann Martin Luz und wie dieser ein Sohn des alten Vogtamtsverwesers und Hofbauern Jakob Luz.
Der "Goldene Ochsen" des Johann Jakob Maier.- Der Alt-Ochsenwirt Johann Jakob Maier war seit 1741 mit Margareta, geb. Schneider aus Nehren verheiratet. Der Ehe entstammten vier Kinder, Agnes (+1777), Corona (1751-1806), Apollonia (um 1753-1784) und Johann Jakob d.J. (um 1754-1783). Bei seinem Tode im April 1784 lebten außer der Witwe Margareta nur noch die Tochter Corona und die Schwiegertochter Apollonia, geb. Klett aus Nehren (um 1756-1785). Sie war die Witwe des Wirtssohnes Johann Jakob und hatte drei Kinder zu versorgen. Bereits verstorben war die Tochter Agnes, Ehefrau des späteren Kronenwirts Johann Martin Roller. Sie hatte ihren vier Kindern ins Grab sehen müssen. Wenige Tage vor dem Tode des Altochsenwirts starb noch die Tochter Apollonia, Ehefrau des Kaspar Luz.
Bei der Erstellung des Nachlaßinventars wurde das gesamte Ehevermögen, einschließlich des Frauen- oder Sonderguts der Witwe Margareta, auf über 17.000 Gulden berechnet. Damit dürfte die Familie eine der reichsten des Dorfes gewesen sein. Das zu verteilende Erbe, darunter die Wirtschaft "Zum Ochsen", war über 10.000 Gulden wert. Bei der "Abfertigung" fiel die Wirtschaft zur Hälfte an die Tochter Corona. Sie war seit 1768 mit Balthas Luz (1744-1800) verheiratet, dem Wirtssohn und späteren Erben des benachbarten "Löwen". Die andere Hälfte erbten die drei Kinder des bereits im August 1783 im Alter von 29 Jahren verstorbenen Sohnes Johann Jakob: die Tochter Anna Margareta (um 1778-1815), der Sohn Johann Konrad (um 1782-1803) und das 1783 geborene "Söhnlein" Balthas, das nur 8 Monate alt wurde. Die Witwe Apollonia lebte mit den Kindern weiterhin im "Ochsen". Noch während des Inventur- und Teilungsgeschäfts verkaufte Corona ihre Hälfte an Apollonia. Der "Goldene Ochsen" befand sich damit ganz im Besitz der Familie Maier, je zur Hälfte der Mutter und der Kinder.
Die Witwe Apollonia heiratete im August 1784 den Witwer Kaspar Luz. Ihm fiel damit die Bewirtschaftung des "Goldenen Ochsen" zu. "Ochsenwirt" blieb er auch nach dem frühen Tod seiner Frau im März 1785 und seiner Wiederverheiratung im November desselben Jahres. Nach der Fertigstellung des "Weißen Ochsen" im Jahr 1788 erscheint Kaspar in der Steuerabrechnung von 1789/90 als "Weißochsenwirt".
Die 7 und 4 Jahre alten Kinder Anna Margareta und Johann Konrad Maier wurden durch den Tod ihrer Mutter zu Vollwaisen. Sie erbten deren Hälfte an der Wirtschaft fast ganz. Den kleinen Anteil, den ihr Stiefvater Kaspar als Ausgleich für ererbtes Kapital erhalten hatte, kauften sie 1789 um 500 Gulden. Sie waren nun alleinige Eigentümer des "Goldenen Ochsen". Wie schon 1785 wurden sie durch zwei Pfleger vertreten, den Löwenwirt Balthas Luz und den Feldmesser Jakob Haldenwang. Als Helfer fungierte ihr Großvater, der Schultheiß Johann Konrad Klett von Nehren.
Der "Goldene Ochsen" ist daraufhin langsam eingegangen. Bei der Steuerabrechnung von 1789/90 erscheint noch Johannes Röker als "Gastgeber zum Goldenen Ochsen". Seine Steuerschuld betrug 31 Gulden, eine Summe, die mit der Besteuerung anderer Wirtschaften vergleichbar ist. Aber schon im nächsten Jahr hatte der "Golden Ochsenwirt" nur noch 15 Gulden zu bezahlen. Wiederum nach Jahresfrist bestand die Wirtschaft nicht mehr, und sie sollte auch nie wieder erstehen. Man muß davon ausgehen, dass dieser Gasthof, der seinerzeit nach Größe und Ausstattung als der prächtigste an der Landstraße gelten konnte, nur rund 30 Jahre lang seinen Zweck erfüllte. In dem Wohnhaus lebte noch die betagte Witwe Margareta Maier, bis sie 1801 im Alter von 79 Jahren verstarb. Die Erben, "Johann Jakob Maiers, Metzgers, Kinder", mußten an die Gemeinde als Eigentümer eine vergleichsweise hohe Steuer bezahlen, doch wurde diese größtenteils von den Pächtern der Güter übernommen.
Im Jahr 1797 heiratete die nun volljährige Anna Margareta Maier den Nehrener Bäcker und Bauern Johann Martin Schneider (1776-1816). Ihr Bruder Johann Konrad lebte danach als Kellner im "Löwen" und starb dort 1803 mit 21 Jahren "an der Auszehrung". Bei der Verteilung seines Erbes fiel der Margareta auch dessen Hälfte am ehemaligen "Goldenen Ochsen" und allen Grundstücken zu. Damit hatte sich dieses Anwesen erstmals wieder in einer Hand vereinigt. Es wurde von Johann Martin Schneider bewirtschaftet.
Die auf der Hofraite des "Goldenen Ochsen" stehende Scheuer neben dem Bachsatzgraben, in der eine Wohnung eingerichtet war, verkaufte Schneider 1813 an den Bäcker Stephan Schmid (1777-1833). Dieser brach sie 1815 ab und erbaute an ihrer Stelle ein Wohnhaus mit Scheuer. Sein einziger überlebender Sohn, der 1806 geborene Johann Jakob, richtete hier vermutlich 1840 die Wirtschaft "Zur Sonne" ein. In diesem Jahr heiratete er nämlich eine Wirtstochter aus Weil im Schönbuch. Nach dem Tode seiner Frau wanderte er 1854 nach Amerika aus.
Anna Margareta und Johann Martin Schneider verstarben kurz nacheinander am 5. August 1815 und am 31. Januar 1816. Sie hinterließen zwei kleine Söhne, Johann Konrad (1802-1827) und den 1813 geborenen Jakob, der später in Nehren heiratete. Das umfangreiche Erbe an Grundstücken, Vorräten, Möbeln, Gerätschaften, Kleidung, Wäsche und Hausrat im Gesamtwert von 11.000 Gulden wurde versteigert. Von den Möbeln behielt jedes der Kinder nur ein Bett. Das erlöste Kapital bildete fortan die "Schneider`sche Pflegschaft", eine namhafte Ofterdinger Vermögensmasse. Ihre Verwaltung oblag den Pflegern, dem Löwenwirt Haies, dem Ochsenwirt Luz sowie dem Nehrener Rößleswirt Johann Konrad Klett. Nach 1823 wird der Gemeinderat Martin Binder als Pfleger genannt. Vereinzelte Notizen lassen vermuten, dass aus dem Kapital auch Darlehen vergeben wurden.
Die ehemalige Wirtschaft, das "zweistöckige Haus mit Scheuer und Hofraite an der Landstraße", ersteigerte 1816 der "Zoller" Johann Martin Sulz (1760-1833). Er entstammte einer Ofterdinger Zeugmacherfamilie und war 1801 zum Verwalter "der Straßenbau-Abgaben, Zoll und Accis zu Ofterdingen" ernannt worden. Sulz scheint ein zwiespältiger Charakter gewesen zu sein. Er tätigte einerseits zahlreiche Grundstückskäufe und Verkäufe und bewegte große Geldsummen. Andererseits häufen sich schon wenige Monate nach seinem Einzug an der Landstraße Nachrichten über Streitigkeiten und Schlaghändel mit seinem Nachbarn Stephan Schmid. An den Handgreiflichkeiten beteiligte sich auch sein gleichnamiger Sohn, dessen Beruf als Soldat, Zollgardist oder Jägerbursch angegeben wird, und der einen schlechten Leumund besaß. Unter anderem beklagte sich Schmid beim Schultheißenamt darüber, dass ihm Sulz die Zufahrt über den Hof verwehren wollte. Gegen Vater und Sohn Sulz waren obrigkeitliche Untersuchungen im Gange, auch wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten. Schließlich wurde der "Zoller" im April 1817 von seinem Amt suspendiert. Auch mit seinem Vermögen ging es bergab. Schon die Gemeinde-Steuerforderung von 1816/17 konnte er nicht begleichen, und seine Ausstände erhöhten sich von Jahr zu Jahr. 1822 befahl das Oberamtsgericht in Rottenburg, zur Begleichung der Schulden Grundstücke aus dem Sulz`schen Besitz zu verkaufen.
Das Gebäudekataster von 1823 verzeichnet den Zoller Johann Martin Sulz als Besitzer des Hauses Nr. 72 (neu 87) an der Landstraße. Damit ist eindeutig nachgewiesen, dass dieses Haus mit dem ehemaligen "Goldenen Ochsen" identisch ist. Die Vermögensverhältnisse des Sulz waren damals bereits hoffnungslos zerrüttet. Da er sich schon 1816, zur Zeit des Hauserwerbs, in Zahlungsschwierigkeiten befand, wird er wohl auch den Kaufpreis gegenüber der Schneider`schen Pflegschaft schuldig geblieben sein. Im Januar 1827 wurde Sulz schließlich durch das Oberamtsgericht vergantet. Dies bedeutete die Zwangsversteigerung aller seiner Güter. Im Zusammenhang damit forderte das Gericht die Gemeinde auf, über Sulz Bericht zu erstatten. Sie schreibt in ihrer Antwort, u.a. habe "der Einkauf teurer Häuser und Güter, die darauf verwandten Baukosten und der hernach herabgesunkene Preis sämtlicher Liegenschaft" zum Vermögenszerfall beigetragen. Sie seien "keine verschwenderischen Haushälter, sondern gewerbsam" gewesen.
Bei der Versteigerung erwarb 1827 die "Schneider´sche Pflegschaft" das alte Maier´sche Anwesen wieder zurück. Das Ehepaar Sulz blieb noch einige Zeit in dem Haus wohnen, doch weigerte es sich, der Pflegschaft den Hauszins zu zahlen. Wenig später, im Jahr 1830, erfolgte wiederum eine Versteigerung des Anwesens, nochmals ausdrücklich "ehemals die Wirtschaft zum Goldenen Ochsen" genannt. Der Pfleger Martin Binder handelte dabei sicher im Einvernehmen mit seinem Pflegsohn Jakob Schneider. Dieser war durch den Tod seines Bruders Johann Konrad 1827 in den ungeteilten Besitz des Schneider`schen Vermögens gekommen und beabsichtigte, nach Nehren zu heiraten.
Käufer des Hauses an der Landstraße war der Metzger Johann Jakob Hausch. Da auch er den Kaufpreis schuldig bleiben mußte, verkaufte er 1831 eine Hälfte des Anwesens an den Kaminfeger Andreas Haies. Mitte des 19. Jahrhunderts war jedoch alles wieder ungeteilt in der Hand der Familie Hausch.
Die Eheverbindungen des Kaspar Luz mit der Familie Maier.- Als letzter reihte sich mit dem Bau des "Weißen Ochsen" 1788 auch Kaspar Luz (1752-1795) in die Gruppe der Investoren an der Landstraße ein. Geht man der Frage nach seinem finanziellen Hintergrund nach, scheint die Antwort auf den ersten Blick in seiner Abstammung von der wohlhabenden Hofbauernfamilie zu liegen. Es zeigt sich jedoch, dass Kaspar zunächst nicht über ein größeres Vermögen verfügte. Vielmehr erwecken seine beiden ersten Eheverbindungen mit Frauen aus dem Hause Maier den Eindruck, als ob er auf diesem Wege zu Reichtum kommen wollte. Aus dieser Sicht sollen die weiter vorne bereits erwähnten Ehen nochmals im Zusammenhang dargestellt werden.
Die jugendliche Tochter Apollonia (um 1753-1784) des Alt-Ochsenwirts Johann Jakob Maier wurde 1771 die erste Ehefrau Kaspars. Das "Zubringens Inventarium" der Eheleute verzeichnet auf Seiten des Ehemanns ein eher geringes Vermögen. Es bestand aus einem Viertel an einem Anwesen auf der Lehr, einem kleinen Anteil an einer Kelter und einigen landwirtschaftlichen Grundstücken. Die Braut brachte als Heiratsgut ebenfalls Grundstücke ein. Nach über zwölfjähriger, kinderloser Ehe verstarb Apollonia im April 1784 "an hitzigem Fieber", ohne von ihren Eltern geerbt zu haben. Das Paar bewohnte zu dieser Zeit Haus, Scheuer und Hofraite "auf der Steinlach".
Bereits im August 1784 heiratete Kaspar Luz wiederum eine Frau aus dem Hause Maier. Es war die junge Witwe Apollonia, geb. Klett aus Nehren. Sie hatte 1776 den Sohn Johann Jakob des Altochsenwirts geheiratet und war seitdem im "Goldenen Ochsen" tätig. Nachdem ihr Ehemann bereits 1783 und der Altochsenwirt noch im April 1784 verstorben waren, ruhte die Last der Wirtschaft allein auf ihren Schultern. Das Erbe des Altochsenwirts fiel zur Hälfte an ihre Kinder, d.h. die Enkel des Erblassers. Die andere Hälfte konnte sie selbst käuflich erwerben, so dass Kaspar mit seiner Ehe zum Goldochsenwirt avancierte.
Auch diese Ehe Kaspars war nicht von Glück begünstigt. Apollonia starb bereits im März des folgenden Jahres "an einer unglücklichen Geburt, 29 Jahre alt". Durch seine Einheirat in den "Ochsen" hatte sich Kaspar zwar ein gewisses Ansehen verschafft. Es ist jedoch denkbar, dass ihn dies nicht befriedigte. Bei der Teilung des Erbes der Apollonia im Mai 1785 betrug das gemeinschaftliche eheliche Vermögen allein an Liegenschaften den hohen Wert von rd. 14.720 Gulden. Dem Witwer stand jedoch kein Erbanspruch auf die Wirtschaft zu. Er konnte nur eine Kapitalforderung geltend machen, zu deren Begleichung er einen kleinen Teil am "Ochsen" erhielt. Die beiden überlebenden Kinder Anna Margareta und Johann Konrad erbten den Rest und besaßen damit fast das ganze Anwesen. Kaspar blieb aber weiterhin auf dem "Ochsen". Seinen kleinen Stiefkindern wurden Pfleger zur Seite gestellt.
Der "Weiße Ochsen" des Kaspar Luz.-
Das dritte Kapitel der Heiratspolitik des Kaspar Luz beginnt im November 1785, als er die 23 Jahre alte Maria Barbara Haasis aus Onstmettingen (1761-1835) heiratete. Sie stammte aus einer wohlhabenden Familie und brachte 4.000 Gulden Bargeld mit in die Ehe. Diese Mitgift ermöglichte es nun Kaspar, umgehend mit dem Bau einer eigenen Wirtschaft zu beginnen. So entstand in den Jahren 1786/88 der "Weiße Ochsen" an der Landstraße. Dessen Wert wurde 1796 auf 4.000 Gulden angeschlagen, was eben dem Betrag der Mitgift entsprach. Den "Goldenen Ochsen" gab Kaspar auf, als er in sein eigenes, neues Anwesen umzog.
Der Weißochsenwirt Kaspar Luz starb im November 1795 nach nur 10 Ehejahren. Seines "Weißen Ochsen" konnte er sich weniger als 7 Jahre lang erfreuen. Allerdings wurden ihm in seiner nun dritten Ehe endlich drei Kinder geschenkt, die ihn überlebten: Johann Konrad (1786-1831), als ältester 9 Jahre alt, Anna und Apollonia. Von ihnen blieb nur der Sohn Johann Konrad im Ort. Die beiden Töchter heirateten nach auswärts. Das im April 1796 errichtete Nachlaßinventar summierte den Wert des gesamten Ehevermögens auf rd. 16.200 Gulden. Die daraus errechnete Erbschaft im Wert von rd. 9.500 Gulden fiel zu gleichen Teilen an die Witwe und die drei Kinder. Die Mutter erhielt jedoch den Nießbrauch am gesamten Erbe, also u.a. die Bewirtschaftung des "Weißen Ochsen".
Auch die Witwe Maria Barbara, geb. Haasis blieb nicht lange allein. Bereits im Mai 1796 heiratete sie den Johann Jakob Luz (1772-1842), der nun als "Ehesuccessor" den "Weißen Ochsen" weiterführte. Er war der einzige Sohn des Löwenwirts Balthas Luz (1744-1800). Der Vater Balthas trieb den "Löwen" zusammen mit seinem Schwiegersohn, dem Kaminfeger Johann Martin Haies (1772-1823) um. Haies hatte 1794 die Wirtstochter Anna Margareta (1774-1849) geheiratet und nannte sich ebenfalls "Löwenwirt".
Diesen Umständen entsprechend konnte Johann Jakob Luz in seine Ehe nur rd. 1.100 Gulden einbringen. Dagegen war Maria Barbara eine reiche Witwe. Das gesamte im "Weißen Ochsen" angehäufte Vermögen betrug über 16.200 Gulden, von denen den kleinen Kindern aber rd. 7.000 Gulden zustanden. Der neuvermählten Ehefrau gehörten rd. 9.000 Gulden. Der hier sichtbare Reichtum stammte zu großen Teilen aus dem "Beibringen", das Kaspar Luz und Maria Barbara 1785 in die vorausgehende Ehe eingebracht hatten. Nicht zu unterschätzen ist jedoch der in den zurückliegenden 7 Jahren im "Weißen Ochsen" erwirtschaftete Zugewinn von rd. 4.600 Gulden. Er dürfte darauf hinweisen, dass die Wirtschaft stark frequentiert wurde, und dass das Wirtspaar gut haushalten konnte.
Der Ochsenwirt Johann Jakob Luz erwarb 1806 auch die benachbarte "Krone". Der erste Kronenwirt Johann Martin Roller war offenbar geschäftlich wenig erfolgreich. Er hatte 1802 Schulden in Höhe von 3.778 Gulden, wobei sich der Gesamtwert seines Vermögens auf 7.480 Gulden belief. Nunmehr 62 Jahre alt entschloß er sich zusammen mit seiner zweiten Frau Anna, geb. Fauser aus Bodelshausen, seine Güter den Söhnen Johann Konrad und Johann Kaspar zu übergeben. Konrad erhielt dabei die "Krone", mußte aber zum Ausgleich u.a. die Schulden übernehmen. Diese Teilung schwächte die Wirtschaft zwangsläufig noch weiter, da sie dadurch bisher zugehöriges Wirtschaftsland verlor. Konrad erkannte nach kurzer Zeit, dass die Bewirtschaftung der "Krone" keinen Erfolg versprach. Er schritt 1804 zum Ausverkauf seines gesamten Immobilienbesitzes und verließ Ofterdingen 1805.
In den Kaufvertrag über die "Krone", den er mit dem Gassenwirt Gall Röcker abgeschlossen hatte, trat nun aber sein Bruder Kaspar ein. Doch auch er verkaufte die Wirtschaft bereits 1806, nach wiederum nur 2 Jahren. Käufer war diesmal der Weißochsenwirt Johann Jakob Luz, der dabei wohl im Interesse seiner Frau Maria Barbara handelte. Ihr nun volljähriger Sohn Johann Konrad (1786-1831) aus erster Ehe mit Kaspar Luz hatte Anspruch auf sein väterliches Erbe und mußte angemessen versorgt werden. Johann Konrad heiratete 1809 die Tochter Agnes des Mössinger Schwanenwirts Balthasar Streib und bewirtschaftete fortan die "Krone".
In ihrer Ehe mit Johann Jakob Luz brachte Maria Barbara nochmals drei Kinder zur Welt, doch starben die zwei, Corona genannten Mädchen früh. Maria Barbara starb 1835 im hohen Alter von 74 Jahren. Zu ihrem Nachlaß gehörte u.a. der "Ochsen an der Landstraße neben Löwenwirt" im Wert von 4.500 Gulden. Die Wirtschaft ging auf den Witwer Johann Jakob Luz über und erscheint auch 1842 in dessen Nachlaßinventar. Der alleinerbende Sohn Balthas (1802-1889) führte den "Ochsen" weiter. Mit dem Enkel Karl Jakob (1835-1912) endete dann die Zeit der Luz-Ochsenwirte. Die Wirtschaft selbst wurde schon 1908 an den Deutsch-Amerikaner Bernhard Wagner verkauft.
Die lange Ehezeit des Wirtspaars Johann Jakob und Maria Barbara Luz begann, als noch die letzten Auswirkungen des 1. Koalitionskriegs (1792-1796) spürbar waren und französische Truppen Tübingen besetzt hielten. Über viele Jahre hatte der "Weiße Ochsen" an der Landstraße für kaiserliche oder württembergische Truppen das Nachtquartier zu stellen. Die Kavallerie sowie die Truppen mit Fuhrwerken oder Artillerie wurden wegen der zahlreichen Pferde hauptsächlich bei den Wirtschaften, sei es an der Landstraße oder im Dorf, untergebracht. Im Rechnungsjahr 1797/98 stellte Luz u.a. Quartier für 20 Offiziere, 35 Rittmeister, 445 Gemeine und 1.216 Pferde. Ähnliche, aber zahlenmäßig geringere Lasten hatten auch die anderen Ofterdinger Bauern- oder Handwerkerfamilien zu tragen. Im 2. Koalitionskrieg (1799-1802) steigerten sich die Belastungen, besonders wegen der erneuten Besetzung durch französische Truppen. Es wird von Sommer-, Winter- und Durchzugsquartieren und auch von vielen Vorspannen, Fuhren und Botengängen berichtet. Dies alles mußten die Ortseinwohner zusätzlich zu ihrer täglichen Arbeit leisten. Kaiserliche Truppen hielten sich 1799/1800 im Ort auf. Der Ochsenwirt hatte dabei insgesamt 55 Offiziere, 103 Mann und 258 Pferde zu verpflegen. Im "Weißen Ochsen" befand sich 43 Tage lang die Kanzlei der 111. K.K. Transport-Division. Überliefert ist auch eine hohe Zeche, die hier ein russischer General mit drei Offizieren in der Zeit vom 17. bis 22. Dezember 1813 machte. Noch in den Wintern 1814/15 und 1815/16 wurde der Ort "auf eine drückende Weise mit Einquartierung fremder Truppen heimgesucht".
Die Bezeichnung des Johann Jakob Luz als "Weißochsenwirt" verliert sich nach 1810, danach ist fast nur noch vom "Ochsen" die Rede. Dies gilt auch für die Gewerbe- und Gebäudekataster von 1823. Das letztere verzeichnet an der Landstraße neben dem "Löwen" und der "Krone" auch den "Ochsen" des Johann Jakob Luz. Er trägt die Hausnummer 70 (später 82) und ist also mit dem heutigen "Ochsen" im Haus Tübinger Straße 20 identisch. Damit wird klar erkennbar, dass die ehemalige Bezeichnung "Weißer Ochsen" dem heutigen Gasthof "Zum Ochsen" zusteht. Die Jahreszahl 1786, die auf dem Türsturz über dem Kellerhals angebracht ist, steht dem nicht entgegen. Dieses Jahr dürfte den Beginn der Bauarbeiten anzeigen. Fertiggestellt und erstmals "collektiert", also versteuert, wurde das Gebäude dann 1788.
Nach der Identifizierung des "Goldenen Ochsen" ist damit auch das Rätsel um den "Weißen Ochsen" gelöst. Zwar waren die Angaben des Gebäudekatasters von 1823 schon länger bekannt. Dieses Verzeichnis ermöglicht ja zum ersten Mal die exakte Lokalisierung der Häuser des Dorfes, denn es enthält im Gegensatz zu den älteren Schriften Hausnummern. Um volle Sicherheit zu erlangen, mußten aber die Familiengeschichten Luz und Maier aufgeklärt werden. Erst dadurch ließ sich die Abfolge der Besitzer und ihr Wechsel durch Verkauf, Heirat oder Erbschaft klar erkennen.
Wie aber konnte sich in der Vergangenheit die Bezeichnung "Weißer Ochsen" durchsetzen? Vielleicht liegt die Antwort in einer versteckt überlieferten Literaturstelle. Der Ofterdinger Lehrer und Chronist Werner Neumann hat in seine Ortschronik des Jahres 1955 einen Zeitungsartikel eingeklebt, der nach einer Notiz aus dem Jahr 1922 stammen soll. In ihm berichtet ein gewisser A. Dreher über die Zeche eines russischen Generals im "Weißen Ochsen", beim Wirt Johann Jakob Luz. Unglücklicherweise hat Dreher als Erklärung in Klammer hinzugefügt: "heute im Besitz der Gebrüder Wilhelm und Johannes Hausch". Wie bereits gezeigt wurde, besaß die Familie Hausch aber den früheren "Goldenen Ochsen". Anscheinend hat erstmals Dreher in seinem Aufsatz die falsche Zuordnung im Druck festgehalten. Woher hatte aber Dreher seine (falsche) Kenntnis? Sie kann wohl nur vom Hörensagen im Ort selbst stammen. In den vergangenen Wochen haben Gespräche mit älteren Ofterdinger Einwohnern allerdings erkennen lassen, dass die mündliche Überlieferung der alten Wirtschaftsnamen heute uneinheitlich ist.