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Türsturz über der ehemaligen Rathauspforte

Nr. 2 - Sag mir, wo die Männer sind...

(Gerhard Kittelberger)

Es mag in der heutigen Zeit anachronistisch anmuten, ein Denkmal zu Ehren der Gefallenen des 1. Weltkriegs zu restaurieren und damit das Totengedenken nach über 80 Jahren neu zu wecken. Dieser Weltkrieg, den die Zeitgenossen noch den "großen Weltkrieg" nannten, ist für uns nach den weiteren Schrecken des 20. und auch bereits des 21. Jahrhunderts etwas in den Hintergrund getreten. Dies wird jedoch den unvorstellbaren Leiden nicht gerecht, denen die Soldaten in den Jahren 1914/18 ausgesetzt waren. Nur einen oberflächlichen Eindruck davon können die Schilderungen kriegsgeschichtlicher Werke vermitteln, wenn sie von tagelangem Artillerie-Trommelfeuer auf Infanterie-Stellungen, Sturmangriffen gegen Maschinengewehre oder Großoffensiven berichten, bei denen innerhalb weniger Tage auf beiden Seiten Hunderttausende von Männern umgekommen sind.

Das Foto zeigt 11 Ofterdinger Soldaten, die sich 1914 in Ulm dem Fotografen stellten.

Das Foto zeigt 11 Ofterdinger Soldaten, die sich 1914 in Ulm dem Fotografen stellten. Ihre Namen sind (von hinten links bis vorne rechts) Ernst Röck, Jakob Wiech, August Göhner, Sebastian Futter, Bernhard Münsinger, Adolf Anstätt, Hermann Mayer, Albert Wiech, Johannes Lutz, Friedrich Löffler und Georg Hausch. Von ihnen sind drei, Ernst Röck, Sebastian Futter und Bernhard Münsinger, gefallen. 

Das Denkmal kann uns auch daran erinnern, welch große Bedeutung dem 1. Weltkrieg für den weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts zukommt. Nicht zuletzt ist es für die bessere Kenntnis unseres Nachbarlandes Frankreich gut zu wissen, dass sich die Kämpfe im Westen größtenteils auf dessen Boden abgespielt, und dass sich dort die Verwüstungen des Stellungskampfes ereignet haben. Wenn wir heute nach Frankreich oder Belgien reisen, begegnen wir, ebenso wie bei uns, keinen Teilnehmern dieses Krieges mehr. Die Erinnerung daran ist jedoch nicht erloschen, mag sie auch durch die bitteren Erfahrungen des 2. Weltkriegs überlagert sein. Auch wenn die damals umgepflügten Landschaften heute wieder grünen, so tragen die Schlachtfelder doch noch deutliche Spuren der mörderischen Kämpfe. Von den Gefallenen zeugen die britischen, deutschen, französischen, indischen, kanadischen und südafrikanischen Soldatengräber und viele Gedenkstätten. Der 1. Weltkrieg bleibt jedenfalls wohl oder übel realer Bestandteil insbesondere der deutsch-französischen Geschichte.

Der Verlauf des Weltkrieges und die Schwerpunkte seiner Kämpfe lassen sich auch am Kriegerdenkmal an der Ofterdinger Kirche ablesen. Beim Versuch, die auf den beiden Tafeln bei den Gefallenen vermerkten Orte ihres Todes auf den Landkarten zu finden, formen sich die Umrisse der Schlachtfelder in der Champagne, im Artois, vor Verdun und Ypern sowie in Polen und in Rumänien.

Die Kämpfe gegen Belgien und Frankreich brachen um den 6. und 8. August 1914 aus. Schon in den ersten Tagen fallen dabei in den südlichen Vogesen 4 junge Ofterdinger Männer, darunter am 21. und 24. August die Brüder Michael und Martin Haldenwang. Weit im Osten, im damaligen Russisch-Polen, kämpften Ofterdinger im ersten Kriegswinter 1914/15. Hier verlief die Front südlich der Weichsel nahe Warschau, und besiegte Hindenburg die russischen Truppen in der Schlacht von Lodz. Im Dezember wird der seit August verheiratete Karl Gimmel bei Ilow vermisst. Im Januar 1915 fällt Johann Steinhilber, der Frau und 3 Kinder hinterlässt, angeblich bei Hurna. Dieser Name ist aber sicher verschrieben. Das Gefecht fand vielmehr bei Cylin an der Bzura statt, nahe des Nebenflüßchens Sucha.

Der dem Dorf auferlegte Blutzoll setzte sich in den folgenden Jahren unerbittlich fort. Mit Ausnahme von 10 Vermissten oder an Kriegsfolgen Verstorbenen sind die Todesorte und oft auch die Todesursache bei 55 Gefallenen bekannt. In jedem der Kriegsjahre von 1914-1918 fallen 11-14 Ofterdinger Soldaten, mit Ausnahme des Jahres 1917, in dem nur 5 zu beklagen sind.

Die meisten Ofterdinger ließen ihr Leben bei den Stellungskämpfen in Nordfrankreich, wo die Fronten von West noch Ost verliefen. Einen besonderen Schwerpunkt nördlich der Somme markieren die Ortsangaben Thiepval, Beaumont, Miraumont, Baillescourt Ferme, Grandcourt, Hardecourt, Bapaume und Fremicourt sowie die Städte Amiens, Arras und Cambrai. Opfer forderten auch die Kämpfe um Reims und an der Aisne nördlich der Stadt, im Argonnenwald und vor Verdun in Juvincourt, Cauroy, Binarville, Givry und Piennes. Schließlich zeigt sich noch ein Schwerpunkt von Ofterdinger Gefallenen nahe Lille und vor Ypern. Die ersten fallen hier schon im Oktober 1914. Im folgenden Jahr kommen allein bei Angriffen auf Ypern 6 Ofterdinger ums Leben, darunter der Sohn des Lehrers Wagner, und auch im Juni und Juli 1916 fallen vor Ypern 4 Ofterdinger Soldaten.

Besonders hart treffen die Verluste die Familien, die im Krieg mehrere Söhne verlieren. Brüder waren außer den genannten Martin und Michael Haldenwang auch Konrad und Johann Martin Steinhilber sowie Albert und Karl Schmid. Die Familie Speidel hat sogar den Verlust von 3 Söhnen, Georg, Karl und Michael zu beklagen. Ein trauriges Weihnachten 1914 erlebte die Witwe des Albert Futter. Als sie gerade erfahren hatte, dass ihr 30 Jahre alter Mann am 2. Dezember 1914 in Wsheliwy nahe der Weichsel gefallenen war, ertrinkt ihr zweijähriger Sohn Otto am 10. Dezember im Mühlkanal.

Angesichts dieser erschütternden Schicksale ist uns heute nachvollziehbar, welche Aufmerksamkeit die Planung des Kriegerdenkmals im Jahr 1922 in der Öffentlichkeit fand und mit welchem Nachdruck die verschiedenen Ansichten über seine Gestaltung aufeinanderprallten. Wir können dem Berichterstatter der "Tübinger Chronik" nachempfinden, der über die Feier am 27. Mai 1923 schreibt:

"Damit ist nun eine Dankespflicht gegen unsere 65 Gefallenen und Vermissten, wie sie auf den Tafeln verzeichnet stehen, wenn auch spät erfüllt, und es hat zweifellos manchem verwundeten Herzen von Mutter, Braut, Frau u.a. Angehörigen sehr wohl getan zu sehen, dass ihre Lieben wenigstens in der Heimat, dem Ziel ihrer ungestillten Sehnsucht, unvergessen sind. Es war eine recht erhebende Feier und man sah manches feuchte Auge."

Quellen und Literatur:

  • Gemeindearchiv Ofterdingen, A 152, Akten Kriegerdenkmal 1921 ff.
  • Pfarrarchiv Ofterdingen, Taufbuch Bände V, VI

        Konfirmandenregister
        Familienregister Bände II, III, IV
        Totenbuch 5

  • Standesamt Ofterdingen, Familienregister II, II
  • Standesamt Stuttgart, Familienbuch 38
  • Standesamt Tübingen, Sterbebuch C
  • Ofterdinger Gemeindebote, 17. Jg.,Nr. 1 vom 5.1.1957
  • Zeitungsarchiv des Schwäbischen Tagblatts, Tübingen, Tübinger Chronik und Steinlachbote, 79. Jg., Nr. 121 vom 28.5.1923
  • Der Weltkrieg 1914-1918, Die militärischen Operationen zu Lande, bearb. im Reichsarchiv u.a., 14 Bände, Berlin u.a. 1925-1956