(Gerhard Kittelberger)
War in der ersten Folge die Rede von den sagenhaften Überlieferungen vom Weiler Maisenhart, so soll uns jetzt die historische Realität dieser Siedlung beschäftigen. Auch dieser "Beitrag zur Dorfgeschichte" beruht auf neuen Forschungen. Sie ergänzen die notgedrungen etwas gedrängter formulierte Geschichte der Wüstung Maisenhart im Festbuch "850 Jahre Ofterdingen" (Erscheinungsjahr 2000), Seite 104-105. Da die dortige Darstellung der urkundlichen Überlieferung hier nicht wiederholt werden soll und kann, wird der interessierte Leser gebeten, diese Seiten im Festbuch nochmals aufzuschlagen.
Die immer wieder gestellte und auch vordringliche Frage ist die nach der einstigen Lage des Weilers. Es liegt auf der Hand, dass diese Siedlungsstelle im Bereich der Flur Maisenhart gesucht werden muss. Diese bildete bis zu den Aufforstungen nach dem 2. Weltkrieg eine Rodungsinsel, hauptsächlich mit Wiesen und Äckern, die zwischen dem Rottenburger Stadtwald, dem Staatswald Aichhalde sowie anderen kleineren Waldfluren lag. Nur wenige Autoren wie Jakob Lutz und Otto Wetzel haben sich in der Vergangenheit mit der Geschichte des Weilers befasst, doch ist keiner von ihnen in der Frage der genaueren Lokalisierung über die Angaben der Rottenburger Oberamtsbeschreibung von 1899 (Band 1, Seite 554) hinausgekommen. Dort heißt es:
"Wir konnten nur im "Löchle" einige hügelartige Erhöhungen auffinden, welche auf den einstigen Wohnort hinzuweisen scheinen; Schreiner Albrecht hatte daselbst im Hopfengarten Ziegel u.a. gefunden."
Es verwundert in der Tat nicht, dass bislang niemand die Lage des abgegangenen Weilers durch den Fund eindeutiger Siedlungsreste bestimmen konnte. Stellt man sich nämlich vor Augen, wie der Weiler Maisenhart ausgesehen haben mag, so fragt es sich, was denn überhaupt an Funden zu erwarten wäre. Zunächst lässt die historische Quellenüberlieferung erkennen, dass es sich bei dem Weiler nicht um eine bedeutende Siedlung mit aufwendiger Bebauung gehandelt haben kann. Sie wurde vom weiter entfernten, jenseits der Rammerthöhe liegenden Dettingen aus angelegt, um neues Wirtschaftsland zu erschließen. Dies geschah vermutlich im Hochmittelalter (9.-12. Jahrhundert). Damals sind viele neue Siedlungen entstanden, die flurnamenähnliche Namen erhielten, wie z.B. Buch und Spechtshart bei Mössingen, die ebenfalls abgegangen sind. In diesen neuen Siedlungen suchten die eher armen Bauern, landlose Söhne oder Töchter aus den alten Dörfern, ihr Auskommen. Angesichts der kleinen Markung des Weilers wird man nur eine kleine Zahl von kaum mehr als 5 Hofstätten annehmen dürfen. Zum Vergleich: das gewichtige Dorf Ofterdingen hatte um 1525 nur rund 100 Hofstätten.
Wie im Mittelalter üblich, wurden in Maisenhart Fachwerkhäuser errichtet, bei denen keine Steinfundamente, Gewölbekeller oder Ziegeldächer erwartet werden können. Die Schwellbalkenrahmen der Häuser wurden auf trocken gesetzte Steine gelegt, und nur die Herdstelle wird aus fester gefügten Steinen gebildet worden sein. Das Rohmaterial des Strohdachdeckers bildete das damals noch meterlange Roggenstroh. Die Siedlung ist dann spätestens im 15. Jahrhundert wieder aufgegeben worden, die Häuser sind zerfallen. So suchte man vergeblich nach Zeugnissen des abgegangenen Weilers in Form von Mauerresten. Auch die erwähnten Ziegelfunde des Schreiners Albrecht können kaum mit Maisenharter Dächern in Verbindung gebracht werden, da es im Mittelalter noch keine Ziegeldächer auf Bauernhäusern gab.
Der Weg zu neuen Erkenntnissen über Maisenhart führt zu den Archiven und den dort ruhenden Schriftquellen. Hier finden sich manche Angaben über die Struktur und die früheren Bewohner, die das bisher bekannte Bild ergänzen. Umfangreich ist auch das dort liegende Material zur Besitz- und Herrschaftsgeschichte. Besonders gilt dies für denjenigen Anteil an der Markung Maisenhart, der dem Spital Rottenburg gehörte. Er wurde 1424 durch das Vermächtnis des Ofterdinger Bürgers Burkhard Has und seiner Frau stark vermehrt, und war nun durch die Jahrhunderte Gegenstand zahlreicher Verzeichnungen, Verhandlungen und Kaufverträge. Diese näher darzulegen und zu interpretieren würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Andererseits hat es sich aber bedauerlicherweise gezeigt, dass sich den Archivalien zur genauen Lage des Weilers nichts entnehmen lässt.
So ist es ein ausgesprochener Glücksfall, dass ein in Ofterdingen wohnender Wissenschaftler, der Archäologe Peter Menzel M.A., sich im Wald Maisenhart auf die Suche nach Spuren der abgegangenen Siedlung gemacht hat. Dabei konzentrierte er sich auf diejenigen Geländepartien, die erfahrungsgemäß von bäuerlichen Siedlern bevorzugt aufgesucht worden sind: eher geschützte, sonnige Lagen in der Nähe von Wasser. Der Blick des Archäologen unter die Erdoberfläche erfordert stets Aufschlüsse tieferer Schichten, und diese boten sich nach den Verwüstungen durch den Orkan Lothar in Form von herausgerissenen Wurzeltellern umgestürzter Bäume an. Die geschilderte Methodik erwies sich in der Tat als erfolgreich, und Peter Menzel wurde im Quellbereich eines unbenannten Bächleins fündig. Dieses, ein Nebenbach des Klinglergrabens, entspringt unfern des Waldwegs von der Alten Rottenburger Straße zur Eichhaldenhütte nahe der Höhe 514,0 (TK 1:25.000, Bl. 7520). Hier fand Peter Menzel einen großflächigen Keramikniederschlag, der nur im Zusammenhang mit einer ehemaligen Siedlung zu deuten ist. Allerdings sind die einzelnen Stücke so stark zerscherbt, daß sie sich einer zeitlichen Bestimmung entziehen. Auch noch im Frühjahr 2003 waren viele Aufschlüsse offen, so daß der ehemalige Ofterdinger Revierförster Gerhard Bliestle und der Autor bei einer gemeinsamen Begehung und Nachsuche die weit verstreuten Scherben finden konnten.
Die heute im Wald liegende Stelle, die aber noch vor 50 Jahren zu dem umfangreichen Wiesenareal im Maisenhart gehörte, ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als die Stelle des ehemaligen Weilers anzusehen. Die sanfte, nach Südosten geneigte Quellmulde ist mit ihrer Umgebung als Siedlungsplatz gut geeignet. Die Stelle liegt auch in unmittelbarer Nachbarschaft zu der in der Oberamtsbeschreibung erwähnten Flur "Löchle", wo Schreiner Albrecht seinen Hopfengarten hatte. Die Wegeanbindung in Richtung Ofterdingen dürfte über den am "Schützenhäusle" vorbeiführenden Feldweg erfolgt sein. Die bis vor wenigen Jahrzehnten noch sichtbaren Stellen, an denen er einen tiefen Hohlweg bildete, weisen auf das hohe Alter dieses Weges hin. Er bog in Richtung Maisenhart weit nach Westen aus, um den unwegsamen Klinglergraben zu vermeiden und kam so in die Nähe der erst um 1817 erbauten Straße in die Oberamtsstadt Rottenburg. Heute sind die Wegestücke an diese, die "alte Rottenburger Straße", angebunden. In Richtung Dettingen dürfte der Weg durch das Katzenbachtal geführt haben.
Gegenüber der Entdeckung seiner Lage sind zwar die oben erwähnten, aus den Archivalien erhobenen Nachrichten über die inneren Strukturen des alten Weilers Maisenhart weniger spektakulär. Sie sollen aber dennoch hier zusammengestellt werden, da sie einen neuen Blick auf die Siedlung ermöglichen.
Seit der Erstnennung des Weilers 1346 werden in den Schriftquellen nie einzelne Gebäude erwähnt, doch hat es solche natürlich gegeben, wie auch 1514 die hohenbergisch-österreichische Herrschaft feststellte, es seien
"vor etlichen jaren die huser des selbigen dörflins abgangen und des selbigen dörflins leut zum merntail gen Oftertingen...gezogen".
Auf das Vorhandensein von Hofgebäuden weist mit einiger Sicherheit nur der 1356 genannte "Túger hof" hin. Dagegen fragt es sich bei den in den alten Schriften verzeichneten "Gütern" immer wieder, ob sie eine bezimmerte (bebaute) Hofstatt besaßen, ob ihre Hofstatt leer war, oder ob es sich überhaupt nur um ein Feldlehengut handelte. So kann im Fall des 1346 erwähnten "Helgrafen Guts" nur vermutet werden, dass es Hofgebäude besaß. Andererseits verzeichnete das Rottenburger Heiliggeistspital, das in Maisenhart bis heute eine Rolle spielt, 1404 als Bestandteile des "Maisenharter Guts", nur Grundstücke (rd. 3½ J Äcker, 8 Mm Wiesen). Vielleicht gehörte zu diesem Gut aber die erst 1547 im Spitalsbesitz erwähnte unbebaute Hofstatt. Fraglich sind bezimmerte Hofstätten auch bei den 1404 erwähnten Gütern, genannt "Tugens Gut" und "des Wutfues Gut". Auf einen im übrigen unbekannten herrschaftlichen Hof, vielleicht einen Maier- oder Fronhof, weisen 1404 ein Brühl und eine Breite ("der breite Acker"?) hin. Das "Burgheglin", eine zu einer "Burg" im weitesten Sinne gehörende Einhegung durch Zaun oder Hecke, könnte mit diesem Herrenhof in Verbindung stehen.
Des weiteren besaß der Weiler in den ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts Ackerflächen, die für die übliche Dreifelderwirtschaft in drei Zelgen eingeteilt waren, Garten- und Wiesenland sowie eine Allmende und Wald. Die "brunwies" lag wohl um eine Quelle herum, und nahebei, an diesen "Brunnwiesen", verlief der 1537 genannte Allmandweg. Da an diesem Weg auch eine weitere Wiese, ehemals eine Hofstatt, lag, befanden sich diese drei Stellen nahe beieinander: Quelle, Weg und Hofstatt könnten ehemals das Siedlungszentrum gebildet haben. Der ebenfalls in dieser Zeit genannte "Maisenharter Bach" ist jetzt, nach der Lokalisierung des Siedlungsareals, eher mit dem aus der dortigen Quelle entspringenden, heute namenlosen Bach identisch als mit dem Klinglergraben (so Wolfgang Wille im Festbuch, Seite 62).
Zahlreiche Ofterdinger Bauern hatten im 16. Jahrhundert Besitz in Maisenhart. Dabei muss offen bleiben, ob sie ehemalige Maisenharter Einwohner waren, die in das Pfarrdorf hereingezogen sind, oder ob sie als eingesessene Ofterdinger Bürger dort Besitz erworben hatten. Als die hohenbergisch-österreichische Herrschaft in den Jahren 1512/14 Anstrengungen unternahm, das "Dörflein" Maisenhart wieder in den Griff zu bekommen, ermittelte sie 32 dort begüterte Ofterdinger Bauern, die sie als Untertanen in Anspruch nehmen wollte. Das Kloster Bebenhausen, der Ofterdinger Ortsherr, zählte 1517 dagegen unter den 127 Grundbesitzern im Dorf 45 in Maisenhart Begüterte. Dies belegt, dass es wesentlich mehr Grundbesitzer in Maisenhart gab als eigentliche Maisenharter. In der Tat zeigt sich noch bei den 1547 zwischen dem Spital Rottenburg und "den gemeinen Maysenhartern zu Ofterdingen" geführten Vertragsverhandlungen, dass letztere eine besondere Genossenschaft bildeten. Diese ließ sich durch den Vogt Hans Wuchter und 7 "verordnete Ausschüsse" vertreten.
Die Namen der 32 Maisenharter von 1514 sind in folgender Tabelle verzeichnet. Hinter den Namen sind noch die Jahre vermerkt, in denen eine Person gleichen Familiennamens (1356) oder auch Vornamens in Maisenhart begütert war.
- Liste der "Maisenharter" 1514
- Bader, Mathis 1496, 1537 Hans
- Bappeler, Bartholome
- Blanck, Bernhard 1496
- Burlin, Martin 1537
- Busch (?), Conrad
- Caspar
- Giner, Albrecht (1356)
- Giner, Conrad (1356)
- Gretzinger, Martin (1356), 1537 Lenz
- Hafner, Jakob 1496
- Hafner, Jörg 1496
- Hafner, Ludwig 1496, 1537
- Heß (Has?), Hans 1356
- Knuß, Michel 1496, 1537
- Kunig, Hans 1496, 1537
- Kuon, Hans 1496
- Laininger (?), Bastian 1496
- Landolt, Hans (1356)
- Mayer, Caspar (1356)
- Mayer, Marquart (1356), 1537
- Metzger, Hans 1496, 1537
- Müller, Heinz 1537 Hans
- Muneck (?), Hans
- Pfeifer, Cunrad Auberlin
- Sattler, Martin
- Schowecker, Hans 1496, 1537
- Schuhmacher, Auberlin 1496
- Sidler (?), Jörg 1496
- Stainger, Hans 1496, 1537
- Trutwein, Peter 1537
- Vochenzer, Bernhard 1496, 1537 Bernhards Witwe
- Vochenzer, Heinz 1496, 1537
Als Ergebnis dieser Forschungsarbeit über Maisenhart können mehrere neue Erkenntnisse festgestellt werden. Als wichtigstes ist sicher die Entdeckung der Siedlungsstelle anzusehen. Daneben wurden aber auch die Strukturen des alten Weilers deutlicher erkennbar und damit die Lebensbedingungen, unter denen die vielen Generationen der dortigen Bewohner lebten. Trotzdem werden immer Fragen offenbleiben und oder sich neu stellen, so daß für weitere Forschungen genügend Raum bleibt.
Quellen und Literatur
(sofern nicht schon bei der 1. Folge genannt):
- Urkunden des Dominikanerinnenklosters Stetten im Gnadental
bei Hechingen 1261-1802, ihrem Inhalt nach dargeboten von Franz Haug und Johann Adam Kraus, Beil. z. HJh 15 (1955), Nr. 155 von 1346, Dez. 20 (Erstnennung).
- Stadt- und Spitalarchiv Rottenburg:
B 10 (Spitalurkunden)
B 20 (Spitalbände vor 1806)
B 30 (Spitalakten)
- Hauptstaatsarchiv Stuttgart:
A 474 (Kl. Bebenhausen), U Nr. 1548 von 1356, Nov. 5.
H 102/75 (Lagerbücher der GV Tübingen)
- Meyer, Jürgen, Archäologische Geheimnisse. Rätselhafte
Entdeckungen zwischen Neckar und Alb. Reutlingen o.J. S. 129f.
- Sannwald, Wolfgang, Spitäler in Pest und Krieg. Untersuchungen zur
Wirtschafts- und Sozialgeschichte südwestdeutscher Spitäler im 17. Jahrhundert.
Gomaringer Verlag 1993.
- Wetzel, Otto, Der alte Weiler Maisenhardt, in: Beitragsfolge der Rottenburger Post Nr. 6 vom 10.12.1949.