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Türsturz über der ehemaligen Rathauspforte

Nr. 3 - Der alte Weiler Maisenhart, 1. Folge

(Gerhard Kittelberger)

Als Otto Wetzel im Jahr 1949 in der "Beitragsfolge der "Rottenburger Post" zur Heimatkunde" einen Aufsatz über Maisenhart veröffentlichte, tat er dies unter dem obenstehenden Titel. Diese Formulierung lässt etwas von der Faszination der romantischen Gedanken durchschimmern, die auch heute noch unsere Vorstellung von abgegangenen Dörfern oder Weilern begleiten. Und in der Tat scheint in unserer Ofterdinger Gegenwart diese Faszination ebenfalls spürbar zu sein. Es fällt auf, dass das Thema Maisenhart immer wieder angesprochen wird. Dies ist umso bemerkenswerter, als sich damit das Interesse einer Siedlung zuwendet, deren Verschwinden über ein halbes Jahrtausend zurückliegt.

Der Siedlungsname Maisenhart hat dagegen als Flurname überlebt. Diese Flur, die heute Wiesen und Wälder umfasst, liegt im Norden der Gemarkung Ofterdingen. Sie wird vom Stadtwald Rottenburg, der Eichhalde und dem Wald Siebeneich eingerahmt. Kleinere anstoßende Waldfluren sind das Löchle, die Spießhalde und der Klingler. Bis vor etwa 40 Jahren waren noch weit größere Flächen Wiesen und auch Äcker vorhanden, die aber inzwischen aufgeforstet sind. Daher konnte Maisenhart bis in die Nachkriegszeit als Rodungsinsel bezeichnet werden. Im Gegensatz zum Gemeindewald Siebeneich und dem Staatswald Eichhalde besteht die Flur Maisenhart aus kleinparzelliertem Privateigentum. Dies ist sicher der Hauptgrund dafür, dass der Name Maisenhart lebendig geblieben ist.

Wie in einem hohenbergischen Urbar von 1513 überliefert, waren die Häuser des "dörfflin maysenhart" bereits "vor ettlichen Jaren" abgegangen. Gleichwohl lässt die in den Archiven erhaltene schriftliche Überlieferung vieles aus der Rechts- und Besitzgeschichte des Weilers erkennen. Die Geschichte soll aber, ebenso wie die einstige Lage der Siedlung, nicht Gegenstand der heutigen Untersuchung sein. Im Folgenden sollen vielmehr die sagenhaften Überlieferungen betrachtet werden, die sich im Zusammenhang mit der abgegangenen Siedlung gebildet haben.

Die erste, stoffreichste Sage hat Vorgänge in der Reformationszeit zum Inhalt. Sie wird von Joseph Giefel in einem Aufsatz von 1892 dargestellt. Da trotz Durchsicht zahlreicher Sagensammlungen des 18. und 19. Jahrhunderts keine Vorlagen für diese Darstellung zu finden waren, ist anzunehmen, dass Giefel sie selbst aus mündlicher Überlieferung, vielleicht in Dettingen, gehört und aufgeschrieben hat. Der Wortlaut soll daher in voller Länge zitiert werden:

Nach einer...Sage...soll..auf einer Anhöhe ein in das Dorf Dettingen pfarrender Weiler "Meiselhart" gestanden sein. Zur Zeit der Reformation nun sei der Aischbach, welchen diese Filialisten zum Besuche der Pfarrkirche Dettingen überschreiten mussten, an einem Palmtage hoch angeschwollen. Ein Teil der Kirchenbesucher, schon vorher widerwillig, habe seine zur Segnung bestimmten Palmen in den Bach geworfen, sei umgefallen und nicht mehr nach Dettingen gekommen. Der andere Teil habe sich freilich mit Schwierigkeiten zur Palmsegnung dort eingefunden und sei dem katholischen Glauben treu geblieben. Wegen der infolge dessen eintretenden Differenzen sowie wegen Kriegsbedrängnissen sei der eine Teil der Einwohner von Meiselhart, die Katholiken, nach Dettingen, der andere aber, die Neugläubigen, nach Ofterdingen und Bodelshausen gezogen. Von daher sollen sich in diesen drei Gemeinden die Geschlechtsnamen Kipper, Dange, Göhner und Herrmann datieren.

Wie erwähnt, spielt diese Sage in der Reformationszeit, und es verwundert nicht, wenn sie, was bei sagenhaften Überlieferungen oft vorkommt, den historischen Ablauf der Ereignisse nicht genau trifft. Aber auch hier wird bei sinnvoller Interpretation der historische Kern deutlich. Zunächst ist davon auszugehen, dass in der 1517 beginnenden Reformationszeit in Maisenhart niemand mehr wohnte. Bereits 1513 berichtet ja das hohenbergische Urbar, "des selbigen dörfflins leutt (seien) zum merntail geen Offtertingen under das gotzhus Bebenhusen und Hertzog von Wirtemberg Schirm als Schirmherrn gezogen". Was also den Zeitrahmen unserer Sage betrifft, so wäre allenfalls an die Jahre nach 1520, vielleicht auch erst nach 1534 zu denken, als die Reformation in Württemberg begann. Hierzu ist aber eine interessante lokale Besonderheit zu beachten. Wenn die in Ofterdingen wohnenden Maisenharter an Sonn- und Feiertagen in ihrer Pfarrkirche Dettingen zur Messe gingen, kamen sie in die Nähe des im Mönchsbachtal gelegenen "Bruderhauses im Dettinger Wald" vorbei. Hier lebten sogenannte Waldbrüder, die schon frühzeitig der Reformation zuneigten. Viele Brüder verließen das Kloster, und der letzte, Bruder Alexander, heiratete 1524 in Reutlingen eine Dettinger Klausnerin. Es liegt daher die Vermutung nahe, daß auch die Maisenharter Kirchgänger von diesen Vorgängen beeinflußt wurden, und daß sich überhaupt das reformatorische Gedankengut schon seit um 1523, wie in der Stadt Rottenburg, auch über die Dörfer verbreitete.

In dieser Zeit stieß aber die Reformation im Herzogtum Württemberg und in der Herrschaft Hohenberg auf scharfe Ablehnung und wurden die Anhänger des "neuen Glaubens" von den Regierungen hart verfolgt. Dies änderte sich 1534 nur in Württemberg, als Herzog Ulrich nach der Wiedereroberung dieses seines Landes die Reformation einführte. Damit brachen aber für die Ofterdinger Bürgerschaft schwierige Zeiten an, da sie sich plötzlich in religiöser Hinsicht gespalten sah. Die alten Ofterdinger waren fortan verpflichtet, in ihrer Pfarrkirche den evangelischen Gottesdienst zu besuchen; dagegen gehörten die ehemaligen Maisenharter nach wie vor - auch trotz dem viel weiteren Weg - "tot oder lebendig" zu ihrer Pfarrkirche in Dettingen. Vor diesem Hintergrund werden wir die Sage als Erinnerung daran verstehen müssen, wie die ehemaligen Maisenharter auf die neuen Verhältnisse reagierten. Wie nicht anders zu erwarten, haben sich wohl die meisten dazu entschlossen, in Ofterdingen zu bleiben, den "neuen Glauben" zu übernehmen und die hiesige Kirche zu besuchen. Die österreichische Herrschaft Hohenberg hatte über die Landesgrenze hinweg keine Möglichkeit, ihre in die Pfarrei Dettingen gehörenden Untertanen daran zu hindern.

Eine zweite sagenhafte Überlieferung berichtet von zwei Schlössern, die "im Meisenhart" gestanden hätten. Erstmals wird diese Sage in der Rottenburger Oberamtsbeschreibung von 1899 erzählt. Hier ist zu lesen: "nach anderer Angabe haben dort zwei Schlösser gestanden, der Herrn von Schalm und der Herrn von Meisenhart". Die recht unbestimmte Ausdrucksweise "nach anderer Angabe" lässt vermuten, dass den Verfassern der Oberamtsbeschreibung dazu keine schriftliche Überlieferung bekannt war, sondern daß es sich um eine mündliche Überlieferung handelte. Auch dem Ofterdinger Heimatforscher Jakob Lutz war eine ältere Belegstelle nicht bekannt. Wenn er, um die historische Richtigkeit der Sage zu stützen, feststellt: "wenn auch der urkundliche Nachweis fehlt, so sprechen doch die Flurnamen "Meisenhart" und "Schalmenhäldle" für diese Ansicht", so ist diese Argumentation nicht stichhaltig. Der Flurname Maisenhart leitet sich sicher von der ehemaligen Siedlung dieses Namens ab; ein Adelsgeschlecht von Maisenhart ist nicht bekannt. Schließlich deutet der Flurname Schalmenhäldle nach den Forschungen von Wolfgang Wille auf eine Stelle hin, wo man gefallenes Vieh vergrub. Ein Hinweis auf die beiden angeblichen Schlösser kann daher den Flurnamen nicht entnommen werden.

Eine weitere, ganz moderne Sage stellt eine Beziehung zwischen einem im Dorf stehenden Wohnhaus und dem abgegangenen Weiler her. Es wird erzählt, die auffallenden Bausteine im Haus Alte Rottenburger Straße 1 stammten von Maisenhart. Die Sage ist wohl so zu deuten, dass die bereits behauenen Steine dort gefunden worden seien. Dies wäre dann als Hinweis auf ehemalige Steinbauten in Maisenhart zu verstehen. Oder stammten die Steine aus einem dortigen Steinbruch? So galt es, näheres über den Bau dieses Hauses zu erfahren.

Nachforschungen im Gemeindearchiv haben ergeben, dass das fragliche "Wohnhaus mit der Scheuer unter einem Dach" (Gebäude Nr. 287) von dem Maurer Heinrich Lutz aufgrund einer Bauerlaubnis vom März 1878 erbaut worden ist. Der Vermerk für die Brandversicherung, das Gebäude habe einen "Souterrain" und "Stockmauern bis unter Dach", ist ein Hinweis auf seine aufwendige Bauweise. Nur weil es sich um ein Steinhaus, nicht ein Fachwerkhaus handelt, sind ja die steinernen Fenstergewände im 1. Stock möglich. Wahrscheinlich führten die hohen Baukosten dazu, daß Heinrich Lutz in finanzielle Schwierigkeiten geriet. Damit würde erklärlich, warum ihm 1879 nur noch die Hälfte des Hauses gehörte, und er es mit Martin Göhner teilen mußte.

Anscheinend hat Heinrich Lutz seine Möglichkeiten auch in einem anderen Fall falsch eingeschätzt. Bereits drei Jahre zuvor war ihm an derselben Stelle der Bau eines anderen, viel größeren Hauses genehmigt worden. Wäre dieser Plan zur Ausführung gelangt, hätte Ofterdingen ohne Zweifel ein einmaliges, unvergleichliches Bauernhaus erhalten. Der Plan sah nämlich vor, die Baulinien am unteren Ende des Dreiecks zwischen der Dettinger und der Alten Rottenburger Straße voll auszuschöpfen. Daraus ergab sich für das Haus ein unregelmäßiger Grundriß mit 5 Ecken nach außen und einer Ecke nach innen. Im Inneren des Hauses wiesen nur wenige der Zimmer, Kammern und anderen Räume rechte Winkel auf. Außerdem beabsichtigte der Maurer Heinrich Lutz, in einem Nebengebäude eine "Gipspfanne" einzurichten, um unter Verwendung von erwärmtem Gips Kunststeine herstellen zu können.

Das an etwa derselben Stelle 1878 erbaute, heute stehende Haus fiel deutlich bescheidener aus, aber auch es besitzt mit seinen behauenen Steinen einen außergewöhnlichen Schmuck. Man kann daraus wohl auf Ehrgeiz und eine gewisse Extravaganz des Heinrich Lutz schließen. Stammt vielleicht von ihm selbst die Sage, die Bausteine kämen aus Maisenhart, womöglich von einem Schloß? Man sieht jedenfalls, dass sich auch in diesen Zusammenhängen die Faszination des "alten Weilers Maisenhart" zeigt.

Quellen:

  • Gemeindearchiv Ofterdingen,

       A 53, Bauakten.
       B 166, Gebäudeverzeichnis für die Revision des Gebäudekatasters.
       B 212, Schätzungsprotokoll zur Brandversicherung, Bd. 2.

  • Tiroler Landesarchiv Innsbruck, Urbare 248, Band 3, Hohenberger Urbar von 1513.

Literatur:

  • Oberamtsbeschreibung Rottenburg 1828, S. 162.
  • Oberamtsbeschreibung Rottenburg 1899, Bd. 1, S. 548, 554 f.)
  • Joseph Giefel, Das Waldbruderhaus bei Dettingen OA Rottenburg,

       in: WVjH NF 1 (1892), S. 231.

  • Johannes Josenhans, Die württembergischen Pfarreien des Landkapitels Hechingen bis zur Reformation, in: RGBl 9 (1898), S. 22-25 (betr. Ofterdingen), 72-77 (betr. Ofterdingen).
  • Jakob Lutz, Heimatgeschichte von Ofterdingen, mschr., ohne Jahr.
  • Kreisbeschreibung Tübingen, Bd. 2, 1972, S. 127 f.
  • Wolfgang Wille, Siedlungen, Markung und Flurnamen (mit Flurnamenkatalog), in: Festbuch 850 Jahre Ofterdingen im Steinlachtal, Ofterdingen 2000, S. 67 f.
  • Gerhard Kittelberger, Die Wüstung Maisenhart, in: Festbuch 850 Jahre Ofterdingen im Steinlachtal, Ofterdingen 2000, S. 104 f.