Die Bronzeplastik von Andreas Futter
Der sagenhafte Heinrich von Ofterdingen geistert als Minnesänger durch die Jahrhunderte. Die "Große Heidelberger Liederhandschrift (Codex Manesse)" aus dem 13. Jahrhundert behandelt den Sängerkrieg auf der Wartburg, worin Heinrich im Wettstreit mit Walter von der Vogelwiede und Wolfram von Eschenbach steht.
Anders als bei diesen nachweisbaren Künstlern gibt es aber von Heinrich keine Liedzeile, keine historische Spur. Außer eben den Ortsnamen Ofterdingen; der ist allerdings einmalig auf der ganzen Welt. Ein Grund, weshalb man sich hier seiner angenommen hat.
Ein Heinrich von Ofterdingen ist zwar im Mittelalter urkundlich mehrfach erwähnt, einer sei sogar Dekan von Hechingen gewesen, wie es in der Alpirsbacher Urkunde von 1266 heißt, die am unteren Sockelrand der Säule liegt. Aber direkt lässt sich auch dieser Geistliche dem Sänger nicht zuordnen.
Viele bedeutende Spuren ziehen sich durch die Geschichte: Im späten Mittelalter gilt Heinrich als einer der zwölf tonangebenden Meistersinger. Weltberühmt wird er durch Novalis, der 1799 einen Roman mit dem Titel "Heinrich von Ofterdingen" verfasst und damit den Grundstein für die Bewegung der Romantik legt.
Die am Säulenschaft erblühte "blaue Blume" gilt als Symbol der Sehnsucht und hält den Traum auf bessere Zeiten wach. Andere berühmte Romantiker wie E.T.A. Hoffmann oder die Gebrüder Grimm nehmen Heinrich von Ofterdingen als literarischen Stoff auf. Richard Wagner setzt Heinrich mit dem Tannhäuser gleich und verarbeitet in dieser Oper den Sängerkrieg auf der Wartburg.
So irritierend mehrdeutig Heinrich in der Überlieferung daherkommt, so vielgestaltig zeigt er sich dem Betrachter. Hoch erhaben steht er auf einer steinernen Säule. Damit präsentiert der aus Ofterdingen stammende Künstler Andreas Futter ironisch die Figur auf einem Postament, dessen bauchiger Schaft mit seinen dicken Wülsten aus dem Bauernbarock zu stammen scheint. Schon darin zeigt sich der durchgängige Zug von Scherz, Satire, Ironie, der Futters ganzes bildnerisches Werk durchzieht. In Ofterdingen steht wahrlich keine Siegessäule, auf der eine Gemeinde ihren weltberühmten Sohn in den Himmel heben will.
"Wer bin ich - und wenn ja, wie viele?", könnte dieser sagenhafte Ofterdinger fragen. Je nach betrachtendem Standpunkt scheint die Figur zu ruhen, energisch voranzuschreiten oder eine Pirouette zu drehen. Sie kann sowohl zum tänzelnden Fragezeichen als auch zum in sich gekehrten Sänger werden. Man begegnet dem jugendbewegten Wandersmann, gut beschuht und in kurzen Hosen. Oder man findet den edlen Ritter mit Wams und Umhang samt dem langen, wenn auch stumpfen Schwert - oder einen König Lautenschläger, der als Linkshänder seiner dreiseitigen Harfe den ewigen Dreiklang von Lust und Leid und Liebe entlockt - oder von Glaube, Hoffnung, Liebe. Mit einer Flöte statt dem Dolch im Gewande.
Wer sich dann noch fragt, was denn die Kopfbedeckung darstellen soll, der möge über Papstkrone oder Blumentopf rätseln. In jedem Fall braucht der Sänger die Inspiration von oben, ob er nun unsterbliche Melodien und Verse oder die zu seinen Füßen liegende, sehnsüchtig machende "blaue Blume" auf Erden kreiert.
Heinrich von Ofterdingen changiert also zwischen den Welten, den Vorstellungen, den Meinungen, zwischen Realität und Phantasie. Er thront weit über allen.